Ein Monat danach: Die geschlagene Opposition im Spiegel der Wochenpresse
9. May. 2022Kommentatoren aller Couleur vertreten die Auffassung, dass sich die zur Wahlniederlage führenden Schwächen der Opposition in den zurückliegenden Wochen weiter verschärft haben.
Ein Großteil der heutigen Opposition stelle das größte Hindernis auf dem Weg zu einem Regimewechsel dar, heißt es in einem nicht gezeichneten Leitartikel des Wochenmagazins 168 Óra. So hätten sich die Oppositionsabgeordneten bei der Eröffnungssitzung des Parlaments geradezu erbärmlich verhalten.
(Die Parlamentarier hatten lange über ihre Teilname an der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode nachgedacht. Etwa die Hälfte von ihnen entschied sich letztendlich für ein Erscheinen, um noch vor der Rede des Staatspräsidenten das Plenum wieder zu verlassen. Ákos Hadházy, der als einziger am ersten Tag nicht einmal seinen Amtseid ablegte, veranstaltete dann vor dem Parlamentsgebäude eine kleine Kundgebung, bei der jedoch praktisch mehr Kameraleute als Bürger anwesend waren – Anm. d. Red.) Dieses öffentliche Desinteresse interpretiert die linke Wochenzeitung als Beweis für die Hilflosigkeit der Opposition.
In den Augen von Zoltán Lakner ist es lächerlich, dass die Opposition bis zu den Europawahlen in zwei Jahren warten wolle, um das Gewicht der einzelnen Parteien auszutesten und innerhalb eines künftigen Wahlbündnisse zu kalibrieren. Die Oppositionsparteien seien also nach wie vor damit beschäftigt, sich gegenseitig für bessere Positionen im Parlament zu bekämpfen, notiert Lakner in Jelen und resümiert: Das sei ein Grund für die nicht vorhandenen Chancen auf einen Sieg der Opposition über die amtierende Regierung.
In einem verbitterten, ganzseitigen Leitartikel wirft auch Magyar Narancs den Oppositionsparteien vor, sich im Rahmen interner Machtkämpfe gegenseitig die Schuld für ihr katastrophales Wahlergebnis in die Schuhe zu schieben. Besser wäre es, sie würden die Europäische Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen die ungarische Regierung unterstützen und diesbezüglich aufzeigen, welche Kriterien Ungarn erfüllen und welche Institutionen es reformieren sollte, um Korruption zu verhindern, rät das liberale Wochenmagazin und ergänzt: Sie könnten auch verlangen, dass der Dialog zwischen der EU-Kommission und der ungarischen Regierung öffentlich gemacht werde.
In seiner in gewohnt aufgebrachtem Ton verfassten Wochenkolumne für Heti Világgazdaság pflichtet Árpád W. Tóta der Europäischen Kommission bei, wenn sie die ungarischen Behörden verdächtigt, europäische Gelder missbräuchlich zu verwenden – obgleich ihr diesbezüglicher Brief an die Regierung in Budapest nicht öffentlich gemacht worden sei. Dennoch, so Tóta weiter, sei dies den Unterstützern der Regierung ziemlich egal gewesen, solange nur die Wirtschaft geblüht habe. Aber selbst jetzt, angesichts der enormen durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine verursachten Schwierigkeiten glaubten sie noch immer, dass Brüssel Ungarn wegen seiner Haltung in Genderfragen bestrafe. Abschließend fordert der liberale Kolumnist die Europäische Union auf, nur ein Prozent der Ungarn vorenthaltenen Gelder aufzuwenden, um die ungarische Öffentlichkeit über ihre alternative Erklärung zu informieren.
Auf der anderen Seite des politischen Grabens steht Péter Bándy vom Wochenjournal Demokrata. Seiner Ansicht nach hegt die Europäische Kommission Vorurteile gegenüber Ungarn. Auf der Grundlage von Informationen, die er über den Inhalt des Schreibens der EU-Kommission an die ungarische Regierung erhalten hat, notiert der rechtsgerichtete Kommentator, dass Brüssel Reformen von Institutionen fordere, die nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union fielen, darunter die Verfahren beim Verkauf und der Verpachtung von Ackerland oder das System der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaften. Darüber hinaus gebe die Kommission zu, dass Ungarn nicht einmal als das korrupteste Mitgliedsland der Union gelte. Trotzdem habe es die Kommission ins Visier genommen – im Gegensatz zu denjenigen, die als die korruptesten betrachtet würden.
In Mandiner führt Dániel Kacsoh das Beispiel der Vorgehensweise der EU gegen die ungarische Regierung an, um zu erklären, weshalb die Opposition bei vier Wahlen in Folge vernichtend geschlagen worden sei. Die Linke trete dafür ein, sich den Brüsseler Erwartungen „in einem Geist der Unterwürfigkeit“ zu fügen, während die Regierung das nationale Interesse an die erste Stelle setze. Die Opposition, so der regierungsfreundliche Kolumnist, werde die Ursachen ihres Scheiterns nie verstehen, solange sie das Erfolgsgeheimnis des Fidesz nicht erkenne: Demnach verfüge Ministerpräsident Viktor Orbán über eine schlüssige Weltanschauung, die auf einer souveränen Außen- und einer patriotischen Wirtschaftspolitik sowie der Verteidigung der „Normalität“ in Europa samt der Idee einer auf Familien basierenden Gesellschaft beruhe.
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