Der Ukraine-Krieg im Spiegel der Wochenpresse
20. Jun. 2022Zahlreiche Kommentatoren versuchen sich einen Reim auf die Veränderungen zu machen, die der Krieg beim nordöstlichen Nachbarn bewirkt. Dabei vor allem im Fokus: das ungarische Ansehen im Ausland, die Einstellung zur russischen Kultur sowie die Folgen für die ungarische Wirtschaft.
Heti Világgazdaság veröffentlicht ein Interview mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, der Ungarn für die humanitäre Unterstützung dankt, die das Land der Ukraine, ihren Einwohnern und Flüchtlingen zukommen lasse. Gleichzeitig äußert sich der Minister verärgert über die Weigerung der ungarischen Regierung, Sanktionen gegen Patriarch Kyrill zuzustimmen (Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche ist ein vehementer Befürworter des russischen Einmarsches in die Ukraine – Anm. d. Red.) Eine Bemerkung des ungarischen Parlamentspräsidenten László Kövér über Staatschef Selenskyj indes bezeichnet Kuleba als nicht hinnehmbar. (Kövér hatte geäußert, es sei ungewöhnlich, dass ein um Hilfe Bittender potenzielle Helfer attackiere. Der Parlamentschef vermutete „psychische Probleme“ hinter dem Verhalten des ukrainischen Präsidenten – Anm. d. Red.) Zudem gab Kuleba Ungarn den Rat, auf der Seite der Gewinner und nicht der Verlierer zu stehen – und sagte voraus, dass die einheitliche Ukraine letztlich die Gewinnerin sein werde.
Der Politikwissenschaftler Miklós Mitrovits bezeichnet die ungarische Unterstützung für die Ukraine als halbherzig. Ungarn, so notiert er in Élet és Irodalom, habe in diesem Krieg keine wirklichen Opfer gebracht. Hunderttausende von ukrainischen Flüchtlingen ins Land, oder besser gesagt, es passieren zu lassen, habe keine ernsthaften Anstrengungen der ungarischen Wirtschaft erfordert. Die Lieferung von Erdgas in die Ukraine hingegen sei sogar gewinnbringend, wenn auch, wie Mitrovits zugibt, für die Ukraine lebensnotwendig. Alles in allem hält der Gastautor die ungarische Haltung für „interessengeleitet“. Am Ende werde eine stärkere internationale Isolierung stehen, befürchtet Mitrovits.
Auf der darauffolgenden Seite derselben liberalen Wochenzeitung unterstützt Eszter Balázs die Entscheidung des Freilichttheaters auf der Budapester Margareteninsel, ein Klavierkonzert der gebürtigen ukrainischen russlandfreundlichen Pianistin Valentina Lisitsa abzusagen. Die Autorin gibt die internationale Kontroverse darüber wieder, ob russische Künstler von europäischen Bühnen verbannt werden sollten oder nicht, und schlussfolgert, dass Sanktionen gegen diejenigen gerechtfertigt seien, die Putins Aggression – wie Lisitsa – offen unterstützen würden. Die beste Lösung für ungarische Bühnen bestehe im Übrigen darin, nur ukrainische Künstler einzuladen, glaubt Balázs.
In ähnlichem Sinne widmet Diána Vonnák in Magyar Narancs einen umfangreichen Artikel dem Nachweis, dass anti-ukrainische Gefühle in der gesamten russischen Literatur, einschließlich der Werke der großen Klassiker, allgegenwärtig seien. In dem liberalen Wochenmagazin verweist sie auf verschiedene ukrainische Experten, die sich gegen die Aufführung von Werken russischer Autoren auf europäischen Bühnen aussprechen. Abschließend konstatiert die Autorin: „Die Literatur ist leider nie unschuldig.“
In einem redaktionellen Leitartikel weist 168 Óra die Behauptung zurück, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Regierung durch den Krieg in der Ukraine verursacht würden und daher beispielsweise die Inflation nach dem Ende des Krieges vorbei sein werde. Das linke Wochenjournal entgegnet dem, dass der ungarische Forint in den letzten Jahren im Vergleich zu den Währungen anderer Länder der Region, darunter der polnische Złoty, an Wert eingebüßt habe. Nach Ansicht der Leitartikler sollten sich die Politiker über die wahren Ursachen des Problems im Klaren sein, um es erfolgreich lösen zu können.
In seinem regelmäßigen Wochenleitartikel auf Jelen weist Zoltán Lakner ebenfalls die Vorstellung zurück, die Inflation und andere Schwierigkeiten würden alle durch die Pandemie, den Krieg und die Sanktionen gegen Russland verursacht. Schön wäre es, wenn die Opposition die Schwierigkeiten der Regierung bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise so geschickt ausnutzen würde wie Viktor Orbán Mitte der Nullerjahre, als er eine konsequente Kampagne auf den Wunsch der Menschen nach einem besseren Leben gegründet habe.
Im Rahmen eines umfangreichen Artikels für Mandiner lässt Dániel Kacsoh verschiedene Fachleute zu Wort kommen und warnt vor Plänen, einen Importstopp für russisches Gas zu verhängen. Dies wäre ein beispielloser Schlag nicht nur für die Wirtschaft Ungarns, sondern auch für Deutschland, das sich in einer Krise wiederfinden würde, wie sie das Land seit 1945 nicht mehr erlebt habe. Ein solches Verbot käme den Vereinigten Staaten zugute, deren teures und mit Hilfe einer umweltschädlichen Technologie zu Tage gefördertes Schiefergas auf diese Weise ausländische Märkte finden könnte, warnt Kacsoh.
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