Viktor Orbáns Rede in Dallas im Spiegel der Wochenpresse
15. Aug. 2022Oppositionsnahe Kommentatoren vertreten die Auffassung, dass der Ministerpräsident seinem Land einen Bärendienst erwiesen habe. Sie begründen ihr Urteil mit Orbáns Rede auf dem Treffen der Conservative Political Action Conference (CPAC), in der er sich an die Seite des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und seiner Anhänger gestellt hatte. Regierungsfreundliche Stimmen hingegen werten die Veranstaltung als Beweis dafür, dass sich Orbán zu einem wichtigen Akteur auf internationaler Bühne entwickelt habe.
Magyar Narancs befasst sich in seinem Leitartikel mit dem Echo der Rede des Ministerpräsidenten. Dabei bezeichnen es die Redakteure des linksliberalen Wochenmagazins als betrüblich, dass Kritiker und Anhänger des Orbáns leidenschaftlich über die unwichtige Frage debattiert hätten, ob der Saal in Dallas, in dem der ungarische Gast gesprochen hatte, voll oder halb leer gewesen sei. Stattdessen hätte sich die Kontroverse auf die Äußerungen Orbáns konzentrieren sollen. Magyar Narancs verurteilt den Ministerpräsidenten nicht zuletzt für dessen Beteiligung an dieser oberflächlichen Debatte. (Orbán hatte ein Foto mit einem Saal voller Menschen veröffentlicht, die seine Rede verfolgen – Anm. d. Red.) Doch auch die linke Presse wird in dem Artikel scharf kritisiert, weil sie das Gegenteil behauptet habe.
In Heti Világgazdaság äußert sich der ehemalige Außenminister und Botschafter in Washington, Géza Jeszenszky, über die Strategie des Ministerpräsidenten, Donald Trump in den Vereinigten Staaten zu unterstützen. Dies sei unbedacht, da ein kleines Land wie Ungarn ein solches Risiko nicht eingehen sollte. Jeszenszky zufolge hat Trump nur eine geringe Chance, erneut Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Die demokratische Regierung stehe der ungarischen Regierung offensichtlich höchst kritisch gegenüber, und der Ex-Diplomat kritisiert Außenminister Péter Szijjártó, weil dieser jüngst vorgebrachte Kritik des neuen amerikanischen Botschafters in Budapest rundweg zurückgewiesen habe. Stattdessen sollten ungarische Beamte versuchen, den Botschafter davon zu überzeugen, dass er sich vor dem Kongress in Washington mit seiner Erklärung geirrt habe, der zufolge die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn ernsthaft gefährdet sei.
Ministerpräsident Orbán sei zu einem wichtigen internationalen Akteur geworden und fühle sich sichtlich von der Suche nach Lösungen für globale Probleme angezogen, räumen die neuen Redakteure von 168 Óra in ihrem Leitartikel ein. Kein Wunder, denn er habe bei Parlamentswahlen im eigenen Land vier Mal in Folge überwältigende Siege errungen und neige demnach dazu, das heimische Theater als weniger inspirierend zu empfinden. Laut 168 Óra häufen sich allerdings die Probleme innerhalb Ungarns. Und da der Ministerpräsident eine Schlüsselrolle im Entscheidungsfindungsprozess spiele, sollte er sich besser nicht durch sein Interesse an internationalen Angelegenheiten ablenken lassen.
In Demokrata interpretiert András Bencsik die Dallas-Rede Orbáns als Katalysator für positive Veränderungen in der Haltung amerikanischer Konservativer, die durch ihre Niederlage bei den letzten Präsidentschaftswahlen entmutigt worden seien. Der Chefredakteur der regierungsnahen Zeitschrift räumt ein, dass Ungarn mit seiner „organischen Demokratie“ über keinerlei Verbündete mehr in Europa verfüge. Europa versinke immer tiefer in einer existenziellen Krise, und die einzige Überlebenschance bestehe in einer konservativen Machtübernahme in Amerika, ist Bencsik überzeugt.
Die Person von Ministerpräsident Orbán habe in Amerika eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit erregt, beobachtet Vajk Farkas. Beim letzten Amerika weit bekannten ungarischen Staatsmann habe es sich um Lajos Kossuth gehandelt, den Führer des Befreiungskrieges von 1848/49. Der jedoch sei im Exil gewesen, betont der Autor in Mandiner. Orbán hingegen sei ein amtierender Ministerpräsident. Viele Rechte in den Vereinigten Staaten würden in ihm ein Vorbild sehen, während Progressive Orbán als Verkörperung des Bösen bezeichneten. Aber selbst die negativen Reaktionen zeigten, so Farkas, dass der ungarische Regierungschef ein bedeutender Faktor in internationalen Angelegenheiten sei.
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