Streiks der Lehrkräfte gehen weiter
12. Dec. 2022Da weitere Lehrkräfte aufgrund ihrer Teilnahme an wilden Streiks ihren Arbeitsplatz verlieren, machen sich Beobachter aus dem gesamten politischen Spektrum Gedanken über die möglichen Folgen des Aufruhrs.
Die Unzufriedenheit der Lehrkräfte habe einen Punkt erreicht hat, an dem es kein Zurück mehr gebe, schreibt Judit Ágnes Kiss in Heti Világgazdaság. (Zuvor waren sechs weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Streiks entlassen worden – Anm. d. Red.) Laut Kiss muss das gesamte Bildungssystem vollständig überarbeitet werden. Die Kolumnistin fordert eine Revision des zentralisierten Lehrplans, der den Lehrkräften nur wenig Spielraum lasse, um ihre Pläne an die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler anzupassen. Auch seien höhere Löhne notwendig, um die Qualität der Bildung zu verbessern und die Motivation der Lehrenden zu stärken, da diese mit ihren Gehältern derzeit kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Kiss wirft der Regierung nicht nur vor, auf Kosten von Pädagoginnen und Pädagogen zu sparen, sondern auch ihre Macht zu demonstrieren, indem sie diejenigen diszipliniere und unterdrücke, die für ihre Rechte und für ein besseres Bildungssystem einträten.
Auf Mérce ruft Ferenc Kőszeghy die Lehrkräfte dazu auf, gewaltfreie Methoden aufzugeben und mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen gegen die Regierung zu protestieren. Unter Berufung auf Ideen Walter Benjamins behauptet der linksliberale Blogger: Lehrerinnen und Lehrer könnten nur dann Erfolg haben, wenn sie auf „gewaltsamen Zwang“ zurückgreifen und das Gewaltmonopol der Regierung samt ihres Rechts auf Beschränkungen des Streikrechts von Lehrenden in Frage stellen würden. Illegal streikende Lehrerkräfte sollten alle ihre Kolleginnen und Kollegen zwingen, den Unterricht einzustellen, schreibt Kőszeghy und ergänzt: Sie sollten auch „den Alltag stören“, um die Ungarn für das Ausmaß der Probleme zu sensibilisieren und die Sichtbarkeit der Demonstrierenden zu verbessern.
In der Tageszeitung Magyar Nemzet wirft Ervin Nagy den Organisatoren der Streiks vor, sie würden mit den Oppositionsparteien unter einer Decke stecken. Der regierungsfreundliche Kommentator glaubt, dass die Linke, die nicht in der Lage sei, die Regierungsparteien bei den Wahlen erfolgreich herauszufordern, die Lehrkräfte zwecks Schwächung der Regierung in der Hoffnung missbrauchen wollten, die Regierung werde unter den wachsenden Herausforderungen – Ukraine-Krieg, galoppierende Inflation, das Hickhack mit der EU sowie interne Unzufriedenheit – kollabieren. Während die Oppositionsparteien die Lehrkräfte für ihre eigenen politischen Zwecke einspannen wollten, könnten sie jedoch keines ihrer Probleme lösen, mutmaßt Nagy.
Allen in Ungarn werde es schlechter gehen, falls die Probleme der Lehrerinnen und Lehrer nicht gelöst würden, fürchtet Attila Tibor Nagy. In Magyar Hang spricht sich der linke Analyst für einen kompletten Paradigmenwechsel aus. Dieser sei zur Verbesserung des Bildungswesens notwendig. Nagy empfiehlt ein stärker dezentralisiertes und finanziell besser ausgestattetes System und weist darauf hin, dass einer kürzlich durchgeführten Umfrage zufolge 35 Prozent der Befragten die Unterfinanzierung als Hauptproblem des Bildungswesens betrachten. Weitere 30 Prozent schöben zudem die Schuld für die Probleme unterqualifizierten Lehrkräften in die Schuhe. Sollte die Qualität des Bildungswesens nicht deutlich verbessert werden, dürfte Ungarn im globalen Wettbewerb zurückfallen, so Nagy abschließend.
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