Wochenpresse über das Zugeständnis Orbáns auf dem EU-Gipfel
24. Dec. 2023Da Wochenzeitungen und -magazine der Vorwoche noch vor Beginn des Gipfeltreffens in Druck gegangen waren, versuchen sie nun – eine Woche später – , den überraschenden Schritt des ungarischen Ministerpräsidenten nachzuvollziehen.
In Magyar Hang bezeichnet Dávid Lakner die Entscheidung Orbáns, während der Abstimmung der restlichen Staats- und Regierungschefs über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine den Raum zu verlassen, als eine demütigende Kapitulation. Immerhin habe Orbán zuvor entschlossen sein Veto gegen diesen Beschluss angekündigt. Lakner glaubt, dass Zugeständnisse auch künftig eine bessere Taktik wären.
Heti Világgazdaság geht hingegen davon aus, dass der Ministerpräsident mindestens bis zu den US-Wahlen 2024 gegenüber dem westlichen Mainstream trotzig bleiben werde. Er habe auf Donald Trump gesetzt, konstatieren die Autorin Viktória Serdült sowie ihre beiden Kollegen Márton Gergely und András Németh und fahren fort: Falls dieser im kommenden November siegen sollte, könnte er die Weltordnung zerstören, die Orbán als Fessel empfindet.
Gyula Krajczár wütet verbal gegen den Regierungschef, weil er zwar kein Veto gegen die Erklärung zur Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Kiew eingelegt habe, aber nach wie vor eine Mitgliedschaft der Ukraine ablehne. In Jelen räumt Krajczár ein, dass der Beitritt der Ukraine ein widersprüchlicher und schwieriger Prozess sein werde. Europa habe der Ukraine jedoch zumindest zu verstehen gegeben, dass es die Ukrainerinnen und Ukrainer in die westliche Gemeinschaft aufnehmen wolle.
In der Wochenzeitung Élet és Irodalom bezeichnet Miklós Losoncz es als unmoralisch, dass sich der ungarische Regierungschef gegen eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union wende. Gewiss hegten auch viele andere Länder Vorbehalte, zum Beispiel angesichts der enormen Kosten, die eine Mitgliedschaft der Ukraine mit sich bringen würde. Diese Länder seien nur allzu froh, dass Orbán die Führung übernehme und sie selbst im Hintergrund bleiben könnten, so Losoncz.
Im Leitartikel des Wochenmagazins Magyar Narancs heißt es: Es sei nicht sinnvoll, dass die Regierung eine landesweite Plakatkampagne gegen die Chefin der EU-Kommission veranstalte, während die Freigabe von Ungarn zustehenden, aber aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit eingefrorenen Finanzhilfen freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Seiten voraussetzen würde. Die Redakteure machen zudem darauf aufmerksam, dass Ungarn mit dem Regierungswechsel in Polen allein dastehen könnte, falls der Vorschlag, dem Land sein Stimmrecht im Europäischen Rat zu entziehen, auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte, weil es nach Ansicht zahlreicher Staaten eine miserable Bilanz in Sachen Rechtsstaatlichkeit aufzuweisen habe.
Dagegen vertritt Ex-Justizministerin Judit Varga in Mandiner die Auffassung, dass der Konflikt zwischen Ungarn und der Europäischen Kommission nur im Falle eines politischen Kurswechsels in Brüssel ausgeräumt werden könne. Dafür sei eine gut funktionierende und praxiserprobte Alternative notwendig – und genau die biete Ungarn den übrigen Mitgliedsstaaten an. Varga fordert ihre ungarischen Landsleute auf, sie mögen dem Rest der Welt das wahre Wesen Ungarns als ein Land aufzeigen, in dem die Werte, auf denen Europa gegründet worden sei, nach wie vor existierten.
Mit einem ganz ähnlichen Zungenschlag behauptet Mariann Őry in Demokrata, dass Ungarn zu einem Schlüsselstaat in der Welt avancieren könne, der Ost und West miteinander verbinde. In der Einleitung zu einem neuen Buch von Balázs Orbán, dem politischen Direktor im Büro des Ministerpräsidenten, das sich gegen eine „Abkopplung“ und für eine „Verbindung“ ausspricht, schreibt Őry: Ungarn habe ein ureigenes Interesse daran, ein unheilvolles Gegeneinander der Blöcke zu verhindern, und müsse daher versuchen, in der internationalen Politik als verbindendes Element zu wirken.