Wochenpresse über Rücktritte und die Stabilität der Regierung
19. Feb. 2024So wie sie letzte Woche zu früh in den Druck gegangen waren, um auf den Rücktritt von Staatspräsidentin Katalin Novák im Zuge des Pädophilie-Begnadigungsskandals eingehen zu können, lagen sie diese Woche bereits in den Verkaufsstellen, als der ehemalige Minister Zoltán Balog als leitender Bischof der kalvinistischen Kirche von seinem Amt zurücktrat. Hintergrund der Entscheidung war Balogs nicht unwesentliche Rolle in dem Skandal. Er hatte nämlich der Staatspräsidentin zur Begnadigung eines Mannes geraten, der wegen Komplizenschaft eines pädophilen Straftäters verurteilt worden war. Auch auf die Demonstration von mehreren zehntausend Menschen in Budapest am Freitagabend konnten die Wochenblätter naturgemäß nicht reagieren. So diskutieren sie über die Rücktritte der letzten Woche und darüber, warum die Regierung trotz der der zahlreichen Krisen in Folge unerschütterlich erscheint.
Der Pädophilie-Begnadigungsskandal habe ausbrechen und die Staatspräsidentin sowie die den Gnadenerlass gegenzeichnende Ex-Justizministerin „hinwegfegen“ können, weil nach wie vor eine von der Regierung unabhängige Medienlandschaft existiere. Das schreibt Árpád W. Tóta im Wochenmagazin Heti Világgazdaság. Die Nachricht von der Begnadigung sei fast ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Jemand, der sie in offiziellen Dokumenten aufgestöbert hatte, habe zur Veröffentlichung bereite Medien gefunden: Das Nachrichtenportal 444 sei für die Verbreitung verantwortlich gewesen, woraufhin weitere Einzelheiten von Heti Világgazdaság, Telex und den übrigen oppositionellen Medien aufgegriffen worden seien, erklärt Tóta und wirft der Regierung vor, mit dem kürzlich erlassenen Souveränitätsschutzgesetz eine neue Kampagne gegen diese oppositionelle Medienwelt starten zu wollen (siehe BudaPost vom 27. November 2023).
In Demokrata beschreibt András Bencsik Bischof Balog – ohne ihn explizit beim Namen zu nennen – als „einen guten Menschen“, der sich für ein „verirrtes Schaf“ eingesetzt habe, ohne der Zerstörung des moralischen Bollwerks der Regierenden gewahr zu sein. Dieses Bollwerk umreißt Bencsik mit dem Prinzip „lasst unsere Kinder in Ruhe“. Allerdings sei es nur beschädigt worden und Präsidentin Katalin Novák sowie die ehemalige Justizministerin Judit Varga hätten es durch ihre Rücktritte vor dem Einsturz bewahrt. Abschließend ruft er die regierungsfreundliche Seite auf, sie möge die beiden Damen, die viel für ihre Gemeinschaft getan hätten, nicht im Stich lassen.
In Jelen versucht Zoltán Lakner die Frage zu beantworten, warum die Regierung trotz einer ganzen Kette von Krisen, einschließlich der jüngsten, keine Anzeichen von Schwäche aufweise. In seinen Augen ist Ungarn keine Demokratie. Dennoch hält er es für denkbar, dass die Opposition eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses erreichen und die Voraussetzungen für „die Wiederherstellung der Demokratie“ schaffen könnte. In diesem Sinne, so Lakner, müssten sich die Oppositionsparteien hinter einer Strategie und einem Projekt vereinen, das sie dem Wahlvolk zur Beurteilung vorlegen müssten. Stattdessen jedoch neigten sie dazu, sich mit ihrer derzeitigen Misere abzufinden und sich hauptsächlich auf die Rivalität mit anderen Oppositionskräften zu konzentrieren, beklagt Lakner.
In einem Mandiner-Artikel räumt der Philosoph András Lánczi ein, dass Ministerpräsident Viktor Orbán angesichts all der Krisen wie der Corona-Pandemie, der Inflation, der wirtschaftspolitischen Probleme und der Fälle von ausländischer Einmischung gemäß den Lehrbüchern im Fach Politikwissenschaft schon längst hätte abgewählt werden müssen. Ein solches Ereignis jedoch sei nicht zu erwarten, betont Lánczi. Es sei dem Fidesz nämlich gelungen, die von mehreren Generationen gesammelten historischen Erfahrungen zu vertreten und mittlerweile ein Wertesystem zu vertreten, das das Selbstwertgefühl der Menschen stärke. Zudem verkörpere es das Gegenteil der linksliberalen Weltanschauung des Relativismus, nämlich die Überzeugung, dass eine Wahrheit existiere. Diese Wahrheit bestehe aus einer Idee, „ohne die die Menschen einfach nicht leben können“. Alles in allem habe der Fidesz ein beträchtliches moralisches Kapital angehäuft – und sein politischer Erfolg dürfte so lange anhalten, wie dieses Kapital nicht verspielt werde, schlussfolgert Lánczi.
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