Linke weniger als sechs Monate vor den Wahlen in der Krise
25. Nov. 2013Rechtsorientierte Kommentatoren richten ihr publizistisches Feuer auf Bajnai und Gyurcsány aus, Mesterházy hingegen halten sie eher für deren Opfer. Ihre Kollegen im linken Spektrum wiederum beginnen allmählich ernsthaft daran zu zweifeln, ob die Sozialisten samt deren Verbündeten im Wahlkampf ernsthaft etwas ausrichten können.
Anna Szabó vertritt in Magyar Nemzet die Ansicht, dass sich die MSZP nach wie vor im Fahrwasser der mittlerweile aufgelösten Liberalen (SZDSZ) befindet, deren Ideale Gordon Bajnais Partei Gemeinsam 2014 sowie „die sie aus dem Hintergrund unterstützenden Finanzkreise“ nicht verträten. Darüber hinaus wollten diese Kräfte nicht einfach nur die Wirtschaftspolitik der Sozialistischen Partei mitbestimmen – „vielmehr wollen sie das Wahlbündnis insgesamt anführen“, fährt Szabó fort. Als Beleg für ihre These zitiert die Autorin Gordon Bajnai, der jüngst geäußert hatte: „Zu dieser Zeit im kommenden Jahr werde ich Ministerpräsident sein.“
In der gleichen Tageszeitung fragt sich Miklós Ugró, weshalb Gordon Bajnai derartig „verbissen“ wieder und wieder davon rede, dass seine Reformen „schmerzen werden“. (Das hatte er bereits 2009 angekündigt, als er von der linken Parlamentsmehrheit für ein Jahr zum Chef eines Krisenbewältigungskabinetts gewählt worden war. Zudem hatte er sich erst kürzlich wieder in diesem Sinne geäußert, später aber erklärt, dass seine Maßnahmen dieses Mal – falls er erneut Ministerpräsident werden würde – die Nutznießer des rechtsgerichteten Regimes treffen würden. – Anm. d. Red.). Ugró wartet mit einer anderen Erklärung für die Auslassungen Bajnais auf: Diejenigen Spitzenpolitiker, die ihre Posten nicht einer allgemeinen Wahl zu verdanken hätten, sondern konkret „berufen“ worden seien, neigten dazu, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Grund dafür sei, meint der Autor, dass sie keinerlei „natürlichen Kontakt“ oder Dialog mit den Menschen hätten etablieren können und keinen Sinn dafür hätten, welches die wahren Bedürfnisse der Gesellschaft wären.
In Heti Válasz stellt János Pelle fest, dass wir sechs Monate vor den nächsten Wahlen „keinen blassen Schimmer davon haben“, was die Linke im Falle ihres Wahlsieges tatsächlich tun würde. Sie kritisiere die amtierende Regierung, böte aber keine konkrete Alternative an, was darauf schließen ließe, dass sich eine potenzielle linke Regierung auf ihr „neoliberales Utopia“ zurückbesinnen würde, das das Schicksal der überwiegenden Mehrheit der Ungarn in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht habe verbessern können. So seltsam es auch klingen möge, die Wähler müssten sich entscheiden zwischen der rechten Politik der linken Parteien und der linken Politik der gegenwärtigen Rechtsregierung. Immerhin seien die Verstaatlichung von Teilen des Energiesektors und der öffentlichen Versorgungsunternehmen sowie Subventionen für das produzierende Gewerbe Methoden der Linken. Deren Erfolg sei alles andere als garantiert, schlussfolgert Pelle, allerdings hielte das Wahlvolk diese Strategien offenbar für erheblich zugkräftiger als die von der Opposition angeregten.
In der Druckausgabe der gleichen Wochenzeitschrift beschreibt Chefredakteur Gábor Borokai den Hauptunterschied der heutzutage in Ungarn existierenden beiden Lager damit, dass die Rechte von gewählten Politikern geführt werde, die sich hin und wieder nicht darum scherten, was ihre Intellektuellen sagen, während sich die Spitzenpolitiker der Linken ihren Intellektuellen sowie den Marktkräften unterwerfen würden. Das Ergebnis sei eine Mentalität vom Typ „die Menschen sollen nicht weinen (no people, no cry)“, was bedeute, dass die Mehrheit die Hauptlast der Subventionen Richtung Marktkräfte schultern solle, die wiederum den Wohlstand für alle erzeugen würden. Das Problem bestehe darin, dass den Menschen 20 Jahre lang Geduld gepredigt worden sei, sie sollten auf eine bessere Zukunft warten und hätten mittlerweile in ihr angekommen sein sollen. „Heutzutage entscheidet sich die Mehrheit für einen starken Staat, denn sie hat absolut kein Vertrauen mehr in die Uneigennützigkeit der Marktkräfte“, schlussfolgert Borókai.
Der ehemalige sozialistische Europaabgeordnete Gyula Hegyi glaubt ebenfalls nicht daran, dass die gegenwärtige MSZP – ganz zu schweigen von deren Verbündeten – dem einheitlichen Weltbild der regierenden Konservativen eine authentische linke Alternative entgegenzusetzen vermag. In Népszabadság bezeichnet er dies als Hauptursache dafür, dass es der Opposition seit der verheerenden Niederlage des Jahres 2010 nicht gelungen sei – ungeachtet der seiner Ansicht nach offensichtlichen Misserfolge der Rechten in der Regierung – ihre eigene Anhängerschaft zu vergrößern. „Sie gestatten sogar der Rechten, Kritiker des Kapitalismus zu sein!“, wundert sich Hegyi. Sie lehnten die Verstaatlichung öffentlicher Dienstleistungssektoren ab und „schmeicheln in unkritischer Art und Weise den USA, so wie sie es einst mit Blick auf die Sowjetunion gewohnt waren“. Das bedeutet in den Augen Hegyis, dass sie nichts aus der Geschichte gelernt hätten. Und da die Gruppierungen links von der Sozialistischen Partei unfähig seien, sich zu einer ansehnlichen Kraft zu mausern, vermutet der Verfasser, dass sich die neue Linke erst durch eine tiefgreifende Reform der MSZP nach den Wahlen werde ausbilden müssen.
Der amtierende Chefredakteur von Népszabadság, Levente Tóth, erwägt ernsthaft für das kommende Frühjahr anstatt „diese unfähige Opposition“ wählen zu gehen, lieber daheim zu bleiben und in seinem Garten Bäume zu pflanzen. Linke Spitzenpolitiker kämpften heftiger gegeneinander als gegen die regierenden Kräfte, als sei der Sieg garantiert und das einzige Problem läge darin zu entscheiden, wer wohl Ministerpräsident werden würde. In Wahrheit stünden sie einen Schritt vor dem Abgrund, warnt Tóth. Genau wie 2010 müsse Ministerpräsident Orbán spüren, dass er für einen Sieg nichts weiter zu tun habe, da die Opposition nicht einmal in der Lage sei, den Wählern zu sagen, was sie im Falle eines Sieges eigentlich zu tun gedenke. „Wenn sie wissen, was, dann sollten sie es uns mitteilen. Und falls sie es nicht wissen, dann sollten sie dieses Mal lieber nicht gewinnen“, urteilt Tóth.
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