Weitere Analysen der linken Wahlniederlage
28. Apr. 2014Analysten des rechten Spektrums versichern, dass das Zeitalter der alten Linken vorbei sei und junge Sozialisten mit dem Aufbau einer neuen Linken ohne linksliberale Kräfte beginnen sollten. Ein liberaler Kommentator wiederum vertritt die Ansicht, Gordon Bajnai sei der von ihm in Angriff genommen Aufgabe nicht gewachsen. Nach wie vor unterliefen ihm strategische Fehler.
In der auf Fidesz-Linie liegenden Wochenzeitschrift Demokrata (Druckausgabe) behauptet Chefredakteur András Bencsik, „die Verleumdung hat sich als falsch erwiesen“. Der Fidesz sei eindeutig die Partei der Armen und Geknechteten. Dabei beruft sich der Autor auf das Magazin HVG, dem zufolge Fidesz bei den Parlamentswahlen zusätzliche zehn Prozent in den fünf ärmsten Komitaten habe erringen können. In den fünf wohlhabendsten habe die Partei einige Prozentpunkte unter dem nationalen Schnitt von 45 Prozent gelegen. Auch Jobbik habe in ärmeren Regionen stärker abgeschnitten, während die Linke in reicheren Wahlbezirken erfolgreicher gewesen sei. Bencsik glaubt, dass die Nebenkostensenkungen, die Gemeinschaftsarbeit für Arbeitslose sowie die Landverpachtungen einige der populären Maßnahmen gewesen seien, die der durchschnittliche Wähler goutiert habe. Mit Blick auf den Linksschwenk in den Plattenbausiedlungen von Miskolc, Budapest und Szeged empfiehlt Bencsik: „Der Leser möge sich sein eigenes Urteil bilden.“ Schließlich bekräftigt der Journalist, dass er als einer der Organisatoren der Friedensmärsche die Tatsache bestätigen könne, wonach sich der Fidesz unter den Armen des Landes einer riesigen Unterstützung erfreue – also bei Leuten, die kaum das Ticket hätten bezahlen können, sich dann aber doch per Bus auf den Weg zur Teilnahme gemacht und die neue parlamentarische Zweidrittelmehrheit zustande gebracht hätten.
Ebenfalls in Demokrata schildert Péter Farkas Zárug den Wahlsieg als den endgültigen Wendepunkt eines Prozesses: Nach zwanzig Jahren „linker Herrschaft“ in den Jahren 1989 bis 2009 (die allerdings vier Jahre Fidesz-Regierung einschließen – Anm. d. Red.) hätten die Wähler einen definitiven Rechtsschwenk vollzogen. Nunmehr müssten sich die Sozialisten fragen, ob sie sich weiter in Richtung des Schwarzen Loches bewegten, das die Freien Demokraten und das MDF bereits verschlungen habe. „Ungeachtet von Bemühungen der jungen sozialistischen Spitzenpolitiker“ sei deren Strategie von Außenstehenden bestimmt worden, die ihnen eine Allianz aufgezwungen hätten, die sich als unfruchtbar erwiesen habe, da sowohl die DK von Ferenc Gyurcsány als auch Gemeinsam 2014 von Gordon Bajnai zum Scheitern verurteilt gewesen seien. Dieses Scheitern, so Zárug, reiche über die verlorene Wahl hinaus. Sie sei ein Zeichen dafür, dass sich „die Solidarität innerhalb des Nach-Kádár-Kontinuums“ in Luft aufgelöst habe. Die MSZP sollte erkannt haben, dass ihre Aufgabe im Aufbau eines „neuen linken Universums“ bestehe, schlussfolgert Zárug.
In Beszélő, einer liberalen Monatszeitschrift, die einstmals in Verbindung zu den mittlerweile nicht mehr existierenden Freien Demokraten gestanden hatte, kritisiert Chefredakteur Zoltán Ádám Gordon Bajnai vehement für das, was er als dessen unpolitische Haltung charakterisiert. Obwohl er mit Hilfe der gemeinsamen linken Wahlbündnisliste ein Parlamentsmandat gewonnen habe, werde er es nach eigenem Bekunden nicht in Anspruch nehmen. Er hätte argumentieren können, dem Parlament aufgrund einer gefühlten Verantwortung für das deutliche Scheitern seiner Unternehmung fern bleiben zu wollen. Stattdessen mache er geltend, parlamentarische Politik werde für die kommenden vier Jahre unbedeutend sein. Mit anderen Worten habe er dem Wahlvolk ein Angebot gemacht – und nun, da sein Bemühen lediglich einige wenige Mandate erbracht habe, lehne er als Vorsitzender einer winzigen Fraktion den Kampf für seine Ideen ab. Das drücke Verachtung gegenüber seinen eigenen Wählerinnen und Wählern aus. In gleicher Weise führe der Name Bajnai die Liste von Kandidaten seiner Partei für die Europawahlen an, doch habe er bereits weit vor der Zeit erklärt, nicht nach Brüssel gehen zu wollen.
Ein Demokrat, so Ádám, sollte niemals die Bedeutung der Legislatur schmälern. Bajnai habe zu lange gezögert, bevor er seine ursprünglich für falsch gehaltene Idee der Bildung einer Dachorganisation für Gruppierungen und Parteien realisiert habe, die zu verschieden sind, um gegebenenfalls gemeinsam zu regieren. In der Folge schrumpfte er von einer Rivalität gegenüber der MSZP in eine Allianz mit ihr zusammen – nicht aber mit der DK von Ferenc Gyurcsány. Letztendlich jedoch liefen sie gemeinsam – in eine krachende Niederlage, nach der Bajnai erklärt habe, sich aus dem Parlament zurückzuziehen. Politische Führungsstärke erfordere Zähigkeit, Arbeit, Planung und Verantwortung. Es sei schön, ein netter Kerl zu sein, doch genüge das nicht, stellt Ádám abschließend fest.
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