USA setzen Ungarn weiter unter Druck
10. Nov. 2014Analysten stimmen darin überein, dass der amerikanische Druck auf Ungarn größtenteils geopolitisch motiviert sei und sich noch weiter verstärken werde, sollte die Regierung keine einschneidenden Zugeständnisse machen. Allerdings dürfte es Ungarn schwerfallen, bislang vehement verteidigte Positionen aufzugeben.
In ihrem wöchentlichen Leitartikel vermutet Magyar Narancs, dass „die Regierung in Teufels Küche gerät“ (das Blatt greift auf einen vulgären Ausdruck zurück – sinngemäß heißt es: „die Eier der Regierung werden gequetscht“ – Anm. d. Red.), da sie das russische Pipeline-Projekt South Stream weiter vorantreibe. South Stream sei für Russland von größter Bedeutung, gestatte die Leitung doch einen reibungslosen russischen Gasexport unabhängig vom Geschehen in der Ukraine. Zudem böte sie die Möglichkeit, „pro-russische“ Allianzen in Osteuropa und auf dem Balkan zu schmieden. Aus demselben Grund werde das Projekt von den Vereinigten Staaten abgelehnt. Magyar Narancs gibt zu, dass sich Ungarn sicherer fühlen würde, gäbe es eine alternative Gas-Pipeline. Tatsächlich seien die ersten Vereinbarungen über South Stream von ehemaligen linken Regierungen unterzeichnet worden. Und so sei es kein Wunder, dass die linke Opposition dem Projekt nicht widerspreche. Die Linken stünden nur allzu gerne nicht vor dem Dilemma, sich entweder für Energiesicherheit oder Loyalität gegenüber der westlichen Allianz entscheiden zu müssen. Obendrein habe Deutschland bereits seine eigene North Stream-Pipeline durch die Ostsee nach Russland errichtet – unter Umgehung von Polen und der Ukraine. South Stream wiederum werde Gas nach Österreich und Italien transportieren. Ungarn wäre demnach nicht der einzige Übeltäter. Jedoch hält es Magyar Narancs für angebracht, dass sich die Regierung von South Stream zurückzieht, was sie laut der Vorhersage des Wochenmagazins jedoch „leider“ nicht tun werde.
Ungarn sollte in umstrittenen Fragen einen Kompromiss finden, ansonsten setze es sich einem unnötigen Druck aus, meint Zoltán Kisszely in Demokrata. Die Regierungen der Welt und die möglicherweise korrupten Geschäftsleute in ihrem Umfeld seien angezapft und unter Kontrolle der Vereinigten Staaten, glaubt der Politikwissenschaftler. Folglich verfüge Washington über ein enormes Potential, im Falle der empfundenen Gefährdung eigener Interessen Druck auf Regierungen auszuüben. Amerika werde die ungarische Seite wegen des South Stream-Projekts oder der Erweiterung des AKW Paks nicht offen attackieren, sondern stattdessen Themen finden, die in Amerika und Westeuropa besser zu vermarkten seien, wie etwa der Verdacht der Korruption oder die Notlage der Demokratie. In solch einem diplomatischen Konflikt habe Ungarn nur geringe Chancen, warnt Kisszely. „Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, einen Kompromiss zu finden“, denn langfristig habe Ungarn nichts zu gewinnen, wenn es „zur Marionette im russisch-amerikanischen Spiel wird“.
Gergely Prőhle, ehemaliger Botschafter in Deutschland und derzeit als Staatssekretär für auswärtige Beziehungen im Ministerium für Humanressourcen tätig, tritt in Heti Válasz für ein äußerst behutsames Agieren ein, um den internationalen Ruf Ungarns nicht zu gefährden. In seinem Beitrag unter dem Titel „Wir schaffen es selber“ erinnert er daran, dass der Fall der Mauer vor 25 Jahren zu einem nicht unerheblichen Teil Ungarn zugeschrieben worden sei. Der gegenwärtige Ruf des Landes könnte jedoch einen Schatten auf diese Verdienste werfen, fürchtet Prőhle. Es wäre falsch zu glauben, dass „alle unsere Freunde uns den Rücken gekehrt haben“ oder dass Ungarn als „betrunkenes Mitglied in der Familie der Volksparteien“ betrachtet werde. Aber, fügt er in einer vorsichtig sarkastischen Bemerkung hinzu, „viele Leute geben sich alle Mühe, damit das geschieht“. Natürlich sei Ungarn nicht das einzige Land in Europa mit Problemen. Prőhle verweist auf die britischen EU-Austrittspläne sowie die steigenden Haushaltsdefizite von Italien und Frankreich. Auch glaubt er, dass Ungarn seine eigenen Interessen verteidigen sollte, selbst wenn dies Konflikte heraufbeschwöre. Wenn diese Konflikte aber Emotionen schürten, die Ungarns internationalen Ruf und die Beziehung zu seinen Freunden gefährdeten, „ist es empfehlenswert, mit großer Vorsicht zu agieren. Ein bewährtes Rezept“, resümiert Prőhle.
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