Imre Kertész wirft der New York Times Zensur vor
14. Nov. 2014Zwei konservative Kolumnisten bezichtigen die New York Times der Voreingenommenheit, da die amerikanische Tageszeitung ein mit Imre Kertész geführtes Interview letztendlich nicht veröffentlicht hat. Der Literaturnobelpreisträger hatte darin die Ansicht zurückgewiesen, bei Ungarn handele es sich um eine Diktatur.
In einem Gespräch für die Sonderausgabe der Zeitschrift The Hungarian Quarterly zum Thema Holocaust erwähnt Imre Kertész, dass die New York Times (NYT) ein mit ihm im vergangenen Jahr geführtes Interview nicht veröffentlicht hat. Darin hatte es der Literaturnobelpreisträger abgelehnt, Ungarn als Diktatur zu bezeichnen. Nach Angaben von Kertész „war der Reporter gekommen, um mir den Satz zu entlocken, dass Ungarn eine Diktatur sei, was aber nicht stimmt“. Der ungarische Schriftsteller fügte hinzu, er sei in keiner Periode seines Lebens vollkommen zufrieden gewesen. Doch der Vorwurf, dass es sich bei diesem Land um eine Diktatur handele, „ist eine leere ideologische Phrase“. Népszabadság dagegen behauptet, bei der Entscheidung gegen die Veröffentlichung des Interviews habe Zensur keine Rolle gespielt. Die Tageszeitung setzte sich mit dem NYT-Interviewer David Streitfeld in Verbindung. Demnach habe der Journalist nach eigenem Bekunden niemals den Begriff „Diktatur“ in seinen Fragen benutzt. Kertész habe ihm lediglich bedeutet, er sei müde und beteilige sich nicht am öffentlichen Leben Ungarns. Der Übersetzer, Thomas Cooper, führte für The Hungarian Quarterly ein getrenntes Interview mit Kertész und stellte die Schilderung des Gesprächs von Kertész mit David Streitfeld nicht in Frage.
In Magyar Hírlap äußert Ferenc Sinkovics den Verdacht, dass das nicht veröffentlichte Interview der New York Times in Auftrag gegeben worden sei, um den Eindruck zu untermauern, Ungarn sei auf dem Wege in die Diktatur. Der regierungsfreundliche Kolumnist spekuliert, dass die amerikanische Zeitung, die die ungarische Regierung wiederholt kritisiert hatte, den Interessen geheimer „im Hintergrund agierender Finanzmächte“ diene und die USA sowie die EU bei einer Verstärkung ihres Drucks auf die Regierung Orbán unterstützen wolle. Wie sich nunmehr herausstelle, zensiere die renommierte Tageszeitung unliebsame Meinungen. Aus der Perspektive des Kolumnisten könnten demnach die Behauptungen der Zeitung kaum ernst genommen werden, wonach der Rassismus in Ungarn auf dem Vormarsch sei, während gleichzeitig die demokratischen Institutionen geschwächt würden.
In ihrem für Magyar Nemzet verfassten Leitartikel unter der Überschrift „Ein freier Mensch“ lobt Zsuzsanna Körmendy „den Realitätssinn und die gemäßigte Haltung von Kertész“, vor allem im Vergleich „zu bedeutenden Künstlern wie (dem Dirigenten) Iván Fischer sowie (dem Pianisten) András Schiff“, die bei ihren Treffen mit westlichen Reportern „nicht fähig sind, dem Sirenengesang von suggerierten Antworten zu widerstehen“.
Tags: Demokratie, Imre Kertész, The New York Times, Ungarn-Kritik