Orbán auf der Fidesz-Sommeruni
28. Jul. 2015Nach Ansicht der Kommentatoren fiel die diesjährige Rede von Ministerpräsident Viktor Orbán auf der Sommeruniversität seiner Partei im rumänischen Siebenbürgen, in deren Mittelpunkt das Thema der illegalen Einwanderung stand, moderater und vorsichtiger aus als in den vergangenen Jahren.
In seiner traditionellen Ansprache an die Teilnehmer der vom Fidesz veranstalteten Freien Universität der Jugend im siebenbürgischen Kurort Băile Tuşnad (Tusnádfürdő) äußerte sich Ministerpräsident Viktor Orbán zu den Herausforderungen, denen sich Europa und Ungarn gegenübersehen. Dabei unterstrich der ungarische Regierungschef, dass es sich bei der Europäischen Union um eine Erfolgsgeschichte handele, da sie für Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent gesorgt habe. Orbán kritisierte dessen ungeachtet, dass die EU in jüngster Vergangenheit ihre pragmatische Mission aufgegeben habe: Die Festigung der Sicherheit, die Vermehrung von Wohlstand sowie die Schaffung eines gemeinsamen Marktes seien preisgegeben worden zugunsten einer „ideologischen Zwangsvorstellung“ in Form der Schwächung nationaler Eigenständigkeit mit dem Ziel, die Zentralisierung weiter zu verstärken – ganz egal, ob dies einen praktischen Sinn ergebe oder nicht. Orbán warnte vor der Errichtung von Vereinigten Staaten von Europa, denn die nationale Vielgestaltigkeit könne nicht mittels einer an einem föderalen Modell angelehnten institutionellen Struktur nach US-Vorbild eingeebnet werden.
Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen sagte Orbán, die europäischen Werte und Völker seien durch eine massenweise Migration aus Afrika gefährdet. Die anti-national eingestellte europäische Linke begrüße demnach die Migration, da sie ihr beim Erreichen ihres Ziels der Beseitigung von Nationen und nationaler Souveränitäten aus Europa helfe. In einer Nebenbemerkung ging Orbán auf das Referendum über die mögliche Vergabe der ungarischen Staatsbürgerschaft an im Ausland lebende Magyaren aus dem Jahr 2004 ein. Der Regierungschef sagte, „die ungarische Linke mag Ungarn nicht, weil sie Ungarn sind“. Weiterhin behauptete Orbán, „es existiert ein deutlicher Zusammenhang zwischen illegaler Migration nach Europa und einer zunehmenden terroristischen Bedrohung“. Zudem verstärke die illegale Migration das Problem der Arbeitslosigkeit.
Unter Verweis auf UNO-Statistiken aus Schweden, Großbritannien und Italien sagte Orbán: „Dort, wo viele illegale Migranten wohnen, kommt es zu einer drastischen Erhöhung der Kriminalität.“ Laut Orbán teilten die Ungarn die genannten Bedenken. Im Folgenden fasste der Gast aus Budapest das Ergebnis der landesweiten Konsultation zur Einwanderungsfrage zusammen (vgl. BudaPost vom 28. April): Zwei Drittel der Ungarn seien über den Terrorismus besorgt und drei Viertel derjenigen, die sich an der Umfrage beteiligt hätten, äußerten die Befürchtung, dass die illegale Einwanderung Arbeitsplätze und Wohlstand der Ungarn gefährdeten. Insgesamt würden vier Fünftel der aktiven Konsultationsteilnehmer das Vorhaben der ungarischen Regierung unterstützen, schärfere als von der EU geforderte Maßnahmen zu ergreifen, um den illegalen Zustrom von Migranten aufzuhalten.
Obgleich Ministerpräsident Orbán dieses Mal auf bombastische rhetorische Erfindungen ähnlich der „illiberalen Demokratie“ vom Vorjahr verzichtet habe, sei die Rede dessen ungeachtet wichtig und vielsagend, kommentiert György Sebes in Népszava. Der linksorientierte Journalist sieht Orbán offenbar mit „eingebildeten Feinden“ ringen. Orbán behaupte, dass Migration eine Bedrohung darstelle, damit er sich als Verteidiger sowohl Ungarns als auch Europas inszenieren könne, vermutet der stellvertretende Chefredakteur von Népszava und ergänzt, Regierungschef Orbán fürchte nach wie vor seine linke Opposition, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass sie ihn bei den letzten Wahlen nicht habe ernsthaft herausfordern können.
Ministerpräsident Orbán spüre die nachlassende Unterstützung der Europäer für linke Politikansätze in der Migrationsfrage, schreibt György Pápay in Magyar Nemzet. Der konservative Autor begrüßt es, dass sich der Regierungschef ausgewogener Richtung Westen und Europa geäußert habe als 2014. Während nationale Souveränität wichtig sei, müssten wir aber auch europäische Werte und Menschenrechte anerkennen und bestätigen, die im Gegensatz zu autoritären Herrschaftssystemen stünden, darunter China, Russland und die Türkei – Länder, die Orbán in seiner letztjährigen Rede noch gepriesen habe, notiert Pápay.
Auch János Csontos glaubt, dass sich Ministerpräsident Orbán in seiner Rede pragmatisch geäußert und umstrittene sowie leicht missverständliche ideologische Begriffe vermieden habe. In Napi Gazdaság schreibt der konservative Analyst, es werde der Linken schwerfallen, auf die Stellungnahme Orbáns zum Thema Migration zu reagieren. Falls sie zustimmte, dass Ungarn ein Land der Ungarn sein sollte, erlitte sie einen Gesichtsverlust. Hielte sie aber an ihrer einwanderungsfreundlichen Rhetorik fest, könnte sie leicht auch noch den Rest ihrer verbliebenen Wählerschaft verlieren, vermutet Csontos.
Albert Gazda von Cink kommentiert die Ergebnisse der landesweiten Konsultation zum Thema Einwanderung. Demnach hält er es für problematisch, dass Ministerpräsident Orbán die Ansichten der eine Million Bürger, die sich an der Befragung beteiligt hatten, mit denen des gesamten Volkes gleichsetze. (Linke Parteien hatten empfohlen, dass diejenigen, die nicht mit dem Fragebogen einverstanden sind, ihn nicht ausfüllen oder zurücksenden sollten. Die Linke hatte den Fragebogen kritisiert, weil dieser ihrer Ansicht nach selbst eine gegen Einwanderer gerichtete Botschaft transportiere – Anm. d. Red.) Die Annahme, dass die aktiven Umfrageteilnehmer Ungarn repräsentierten, liefe darauf hinaus, dass diejenigen, die den Fragebogen nicht zurückgeschickt haben, möglicherweise gar nicht zu diesem Volk gehörten, kritisiert Gazda.