23. Oktober 2015 – ein trister Jahrestag
26. Oct. 2015Die wenigen politischen Veranstaltungen aus Anlass des Jahrestags der revolutionären Ereignisse vom 23. Oktober 1956 wurden erstmals seit dem Wendejahr 1989 von lediglich einer Handvoll Menschen besucht. Die Kommentatoren analysieren den Kontext – und erörtern die höchst unterschiedlichen Faktoren, angefangen bei der Schwäche der Linken bis hin zur Flüchtlingskrise.
In 168 Óra erinnert sich die Soziologin Mária Vásárhelyi an ihre Kindheitsjahre, als die Familie den Jahrestag stillschweigend begehen musste. (Vásárhelyis Vater stand 1958 gemeinsam mit Imre Nagy vor Gericht. Der Prozess endete für den einstigen Ministerpräsidenten Nagy mit dem Todesurteil – Anm. d. Red.) Unmittelbar nachdem auch offiziell wieder des 23. Oktobers habe gedacht werden dürfen, so erinnert sich die Soziologin, sei das Gedenken von den tiefen politischen Meinungsverschiedenheiten überschattet worden, die das öffentliche Leben bis zum heutigen Tage charakterisierten. In letzter Zeit werde der Jahrestag wieder zu Hause begangen, und zwar von denjenigen, die sich dafür interessierten – auf ihre Weise. Von der Mehrheit hingegen werde er ignoriert, konstatiert Vásárhely.
András Hont zeichnet ein Mitleid erregendes Bild der von den linken Oppositionsparteien abgehaltenen Gedenkveranstaltungen. Auf HVG.hu listet Hont auf: Ferenc Gyurcsány habe vor dem Revolutionsdenkmal eine kurze persönliche und lediglich an die Presse gerichtete Erklärung abgegeben und Viktor Szigetvári von Együtt (Gemeinsam) in Anwesenheit der Präsidiumsmitglieder seiner Partei am Denkmal für Imre Nagy Blumen niedergelegt. An einem Meeting der Bewegung Új Magyar Köztársaság (Neue Republik Ungarn), die „dafür bekannt ist, dass sie Anfang des Jahres mehr Fragen als Unterschriften für ein Referendum zusammengetragen hat“, hätten gerade einmal 200 Personen teilgenommen. Gleichzeitig verhalte sich die Regierung vollkommen passiv, doch habe die Opposition aus deren Reglosigkeit kein Kapital schlagen können. Die MOMA (Bewegung für ein modernes Ungarn) von Lajos Bokros, „eine konservative Partei, die einzig von Linken unterstützt wird“, habe die Leute zum Daheimbleiben und Liken ihrer Facebookseite aufgefordert. „Also bin ich nach Hause gegangen, um sie zu beglücken“, notiert abschließend Hont mit einem bitteren Unterton.
Im Wochenmagazin Heti Válasz verwirft Bálint Ablonczy Vergleiche zwischen dem gegenwärtige Migrantenzustrom aus dem Nahen Osten und der Auswanderung von knapp 200.000 Ungarn im Jahre 1956. Kritiker der ungarischen Regierung verurteilten häufig ihren Unwillen, die heutigen Migranten willkommen zu heißen und erinnerten sie in diesem Zusammenhang an die positive Aufnahme, die jenen Ungarn von 59 Jahren zuteil geworden sei. Ablonczy benennt im Folgenden mehrere wichtige Unterschiede zwischen den beiden Fällen: Zunächst habe der Westen diese Flüchtlinge in den kältesten Jahren des Kalten Krieges als Beweis für die auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs herrschenden unhaltbaren Lebensbedingungen empfangen. Zweitens habe es sich um eine endliche Einwanderungswelle gehandelt, während heutzutage niemand sagen könne, wie viele Millionen Menschen noch aus Asien und Afrika in Richtung Europa aufbrechen würden. Drittens seien die Ungarn seinerzeit nicht durch mehrere europäische Länder marschiert, sondern seien in Flüchtlingslager eingesperrt worden, um dann einzeln von den westlichen Ländern aufgenommen zu werden. Viertens habe es sich um Europäer gehandelt, die weder echte zivilisatorische noch religiöse Hemmnisse hätten überwinden müssen. Fünftens habe der Westen zu der damaligen Zeit frische Arbeitskräfte benötigt, sodass bis Ende 1957 fast alle ungarischen Flüchtlinge einen Job gefunden hätten. Ablonczy wünschte sich, dass es die heutigen Migranten ebenso leicht hätten, sich in westliche Gesellschaften zu integrieren.