Parteienspaltung in der Kritik
2. May. 2016Ein konservativer Publizist beklagt, dass Akteure diesseits und jenseits des tiefen politischen Grabens den Teufel lediglich im jeweils anderen erkennen würden und gleichermaßen unrealistische Narrative lieferten, um Geschichte sowie aktuelle Ereignisse zu deuten.
In seinem wöchentlichen Leitartikel für Heti Válasz zitiert Chefredakteur Gábor Borotkai die Soziologin Zsuzsa Ferge. Die erfahrene linksorientierte Wissenschaftlerin habe unlängst im Sender Klubrádió berichtet, drei Diktaturen überstanden zu haben – und zwar die Pfeilkreuzler-Herrschaft 1944, Rákosis ungezügeltes Kommunisten-Regime in den frühen 1950er Jahren und die gegenwärtige Diktatur, die sie als „unvollständig, aber trotzdem als solche“ bezeichnet habe. Das Kádár-System (1956-1990) hingegen, in dem es weder politische noch gewerkschaftliche Freiheiten gegeben habe, scheine Ferge nicht als Diktatur zu betrachten, notiert Borokai und fährt fort: Zwei unversöhnliche Welten befänden sich im Krieg und ihre Narrative würden noch dadurch zugespitzt, dass das Einkommensniveau auf beiden Seiten davon abhänge, ob ihre Politiker gerade an der Regierung oder in der Opposition seien. Die jüngsten Hetztiraden richteten sich gegen den Plan des Ministerpräsidenten, ein Gebäude auf dem Burgberg sanieren zu lassen und sein Büro vom Parlamentsgebäude dorthin zu verlegen. Orbán werde heftig dafür kritisiert, das Gebäude mit einem Balkon zu versehen, obwohl sämtliche vergleichbaren Bauwerke in diesem Gebiet über einen solchen verfügten. Diese Art des Gebarens habe sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten um keinen Deut verändert. Durchaus verändert habe sich jedoch, dass die neuen Generationen Behauptungen nicht einfach so schlucken würden, denen zufolge die zwei historischen Diktaturen in irgendeiner Weise mit den gegenwärtigen Verhältnissen in Ungarn zu vergleichen seien. Indessen sollten „alle Seiten“ nicht ihre Nüchternheit und das rechte Maß verlieren, um nicht in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten, warnt Borokai.
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