EU-Parlamentspräsident für Dialog mit Orbán
17. Oct. 2016Zwei Publizisten aus dem linken Spektrum bezeichnen es als bedauerlich, dass Europaparlamentspräsident Martin Schulz Gespräche mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán aufnehmen möchte.
In einer Stellungnahme zum Ausgang des ungarischen Quotenreferendums hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die Ansicht vertreten, dass die Europäische Union einen Dialog mit Viktor Orbán aufnehmen sollte, anstatt zu versuchen, ihn zu bestrafen. Es könnte sich als kontraproduktiv herausstellen, wenn bestimmte Politiker, darunter auch Orbán, in eine Opferrolle gedrängt würden – Politiker also, die die falsche, aber dessen ungeachtet in der Öffentlichkeit weit verbreitete Meinung verträten, dass die EU nationale Kulturen durch eine multikulturelle Identität ersetzen wolle, so der deutsche Sozialdemokrat.
Weder wolle noch könne die EU das ungarische Kabinett zur Respektierung demokratischer Grundnormen zwingen, schreibt Gáspár Miklós Tamás in einem Kommentar zu den Äußerungen von Martin Schulz. In Heti Világgazdaság geht der marxistische Philosoph sogar so weit zu behaupten, Schulz habe „die demokratische Linke Ungarns verraten“. Es sei höchst enttäuschend, dass die EU zur Tolerierung dessen bereit sei, was Tamás als massive Verstöße gegen EU-Gesetze und grundlegende Prinzipien der Demokratie bezeichnet. Im Ergebnis der auf Seiten der Europäischen Union herrschenden Bereitschaft, sich an das Konzept des Illiberalismus anzupassen, schrumpfe „die liberale westeuropäische Insel“, da „autoritäre, rassistische und fremdenfeindliche“ Regimes sowohl im Westen also auch im Osten immer stärker würden. Schlussfolgernd notiert Tamás: „Es ist gar keine so große Sache“, wenn man von der EU und anderen äußeren Mächten nicht die Verteidigung der ungarischen Demokratie erwarten könne – denn dies sei eine Aufgabe, die die Ungarn selbst übernehmen sollten.
Róbert Friss von der Tageszeitung Népszava interpretiert die Worte Schulz’ als Hinweis darauf, dass die EU die von der Politik Ministerpräsident Orbáns ausgehende Gefahr ignoriere. Der dem linken Spektrum zuzurechnende Journalist hält den europaweiten Aufstieg rechtsnationalistisch geprägter Politiker für ein Ergebnis der Krise des westeuropäischen Liberalismus. Sollte die EU die Krise nicht in den Griff bekommen, würden rechtsnationalistische Parteien Europa in einen illiberalen Kontinent verwandeln. Massiv kritisiert Friss Martin Schulz für dessen Versuch der Dialogaufnahme mit Ministerpräsident Orbán und vergleicht ihn mit einem blinden Demokraten, der beim Erreichen seiner Hinrichtungsstätte mit dem Scharfrichter eine Debatte darüber anzettelt, ob sein Beil wohl auch scharf genug sei.
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