Wird Momentums Momentum anhalten?
20. Feb. 2017Die meisten Kommentatoren gehen davon aus, dass die Regierenden die Budapester Olympia-Bewerbung zurückziehen werden, nachdem eine neue politische Bewegung fast doppelt so viele Unterschriften wie zur Unterstützung eines entsprechenden Referendums nötig gesammelt hatte. Die meisten Beobachter denken allerdings nunmehr darüber nach, ob Momentum nach ihren Erfolg bei diesem speziellen Thema zu einer bedeutenden Oppositionskraft heranwachsen werde.
In seinem regelmäßigen Kommentar zum Wochenende sagt Péter Németh voraus, dass Ministerpräsident Viktor Orbán nicht in einen länglichen Streit um die Olympiakandidatur verwickelt werden wolle, denn er vermeide für gewöhnlich die Auseinandersetzung, wann immer er auf massiven Widerstand in der Bevölkerung treffe. Eine vergleichbare Flexibilität habe er bereits in den Fragen der Internetsteuer und der sonntäglichen Ladenschließungen bewiesen (vgl. BudaPost vom 30. Oktober 2014 und 13. April 2016), erinnert der Chefredakteur der Tageszeitung Népszava.
Károly Bán von Magyar Hírlap versichert seinen Lesern, dass nicht über 266.000 Unterschriften hätten gesammelt werden können, wären die linken Oppositionsparteien loyal bei ihrer positiven Haltung zu Olympischen Spielen 2024 in Budapest geblieben. Sämtliche ihrer Vertreter in der Budapester Stadtverordnetenversammlung, mit Ausnahme die der LMP, hätten für die Kandidatur gestimmt. Bán zitiert im Folgenden eine frühere Aussage des Szegediner Bürgermeisters und gegenwärtigen MSZP-Ministerpräsidentenkandidaten, László Botka, wonach sich ein Einsatz für das Ziel, „dass Ungarn zum Gastgeber Olympischer Spiele wird“, lohne. Und so folgert der Autor: Bei den Linken hätten kurzfristige politische Vorteile ein größeres Gewicht als ein nationales Anliegen.
Beiden Seiten gehe es eher um politische Vorteile als um das Durchsetzen ihrer Meinung zum Thema Olympische Spiele, behauptet András Stumpf vom Onlineportal Mandiner. Momentum sei gegen die Veranstaltung der Spiele in Ungarn. „Als deren Vertreter aber hörten, dass Budapest seine Bewerbung möglicherweise zurückziehen könnte, warnten sie die Regierenden vor einer derartigen ‘Feigheit’, statt in Jubel auszubrechen“, notiert Stumpf. Mit anderen Worten, es gehe ihnen um eine Kampagne gegen die Regierung und um ihrer selbst willen als neue Partei und weniger um die Ablehnung Olympischer Spiele in Budapest. Andererseits sei der Fidesz als starker Verfechter von Volksbefragungen bekannt. Doch wenn über 200.000 Menschen ein Referendum forderten, dann stelle sich die Regierungspartei auf eine Rücknahme der Olympiakandidatur ein, anstatt eine Rettung ihrer olympischen Idee zu versuchen. Politische Interessen würden über alles andere triumphieren, konstatiert Stumpf.
Auf der linksorientierten Webseite Sztárklikk notiert Zoltán Czeglédi, dass die linken Parteien überhaupt keinen Grund für Neidgefühle gegenüber Momentum hätten. Die neue Bewegung, die sich bald zu einer politischen Partei entwickeln werde, habe die Aufgabe, neue Anhänger für sich zu gewinnen. Wären die MSZP und die Demokratische Koalition in der Lage, Rentner, die untere Mittelschicht vom Lande, Lehrer oder medizinisches Personal zu überzeugen, dann würde sich ihr Wählerpotenzial verdreifachen. Und genau das sollten sie eben auch tun. Momentum wiederum sollte urbane, liberal gesinnte und junge Wählerschichten mobilisieren. Diese beiden Wählerschichten stünden in keinem gegenseitigen Wettbewerb, versichert Czeglédi.
Auf Kettős Mérce meldet sich eine andere prominente Stimme der Linken zu Wort und nennt die erfolgreiche Referendumsinitiative einen Sieg für die Opposition insgesamt, darunter auch diejenigen, die nichts dazu beigetragen hätten. Nach Ansicht von András Jámbor sollten die linken Kräfte Stärke aus der „faktischen Niederlage des Fidesz, beigebracht durch eine spontane Initiative von unten“ gewinnen. Dies sei der Weg, auf dem die aktuell Regierenden besiegt werden könnten. Die Oppositionskräfte sollten diese Meisterleistung als einen ersten Schritt betrachten und weitere folgen lassen, empfiehlt Jámbor.
In seiner regelmäßigen Kolumne für Magyar Nemzet äußert sich Albert Gazda davon überzeugt, dass die Regierenden die Olympiabewerbung zurückziehen werden. Damit solle Momentum an einer weiteren Fortführung ihrer Kampagne gehindert werden. Die neue Bewegung werde dadurch gezwungen, neue Themen für sich zu finden, die aber über ein ähnliches Mobilisierungspotenzial verfügen müssten. Gazda ist unsicher, ob Momentum dies gelingen werde. Dessen ungeachtet hält der Autor die Referendumsinitiative für eine Probe und freut sich schon auf die eigentliche Vorstellung.
Momentum verfüge im Vergleich zu früheren spontanen Initiativen über bessere Chancen, sich in eine stattliche politische Kraft zu entwickeln, analysiert András Keszthelyi im Wochenmagazin Magyar Narancs. Der Autor begründet dies hauptsächlich mit dem Wunsch ihrer Gründer, eine politische Partei statt eine NGO aufzubauen und sich so zu verhalten, wie sich professionelle Politiker zu verhalten haben. Ihr Gebaren erinnert Keszthelyi an den Fidesz vor 27 Jahren. Auch sie seien jung und unverdorben von den verworrenen Kämpfen und Fehlern der zurückliegenden 27 Jahre. Allerdings müssten sie früher oder später mit einer handfesten politischen Agenda aufwarten und zur Zeit wisse niemand, wie clever und überzeugend sie sich bei der Lösung der Probleme des Landes anstellen würden.
Auf Paraméter räumt János Széky ein, dass ihn die Nachricht über „eine taktische Niederlage des Fidesz“ freudig erregt habe. Das Wichtigste ist für den führenden Analysten der Wochenzeitung Élet és Irodalom jedoch, dass Momentum eine Bresche in die Mauer der politischen Kaste gebrochen habe, die Ungarn seit 25 Jahren regiert. Zunächst hätten sich sämtliche im Parlament vertretenen Parteien für die Idee der Veranstaltung Olympischer Spiele in Budapest begeistert. Auch hätten sie einmütig erklärt, dass keine neue Kraft irgendeine Chance habe, in die Sphäre öffentlicher Politik einzudringen. Széky äußert nun die Hoffnung, dass Momentum mit ihrer Verwandlung in eine politische Partei erfolgreich sein und der exklusiven Herrschaft der gegenwärtigen politischen Kaste ein Ende bereiten werde.
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