Nationale Konsultation über den „Soros-Plan“
9. Oct. 2017Experten äußern sich höchst unterschiedlich zur „nationalen Konsultation“ der Regierung über Fragen der Migration. Die eine Seite sieht in ihr ein auf Lügen gegründetes Propagandaprojekt, die andere hält die Befragung für eine Form der Selbstverteidigung gegen den Druck globaler Eliten.
„Brüssel versucht den Soros-Plan umzusetzen.“ Mit diesen Worten begründete Ministerpräsident Viktor Orbán in seinem vierzehntäglichen Morgeninterview mit Kossuth Rádió die zur Zeit laufende neuerliche „nationale Konsultation“, in deren Rahmen sämtlichen potenziellen Wählern des Landes Fragen zur Immigration vorgelegt werden (vgl. BudaPost vom 22. September). Auf der Grundlage eines vor zwei Jahren vom ungarisch-amerikanischen Multimilliardär verfassten Artikels beschreibt die Regierung den „Soros-Plan“ als ein Projekt, das auf die jährliche Ansiedlung von einer Million Flüchtlingen in Europa abzielt. Budapest vermutet eine Beschneidung von EU-Kohäsionsfonds und Agrarsubventionen, um Einwanderern auf diese Weise zu helfen.
György Sebes glaubt nicht an die Existenz eines „Soros-Plans“. Was es gebe, schreibt Sebes in Népszava, sei ein „Orbán-Plan“ zur Dämonisierung eingebildeter Feinde, damit sich der Ministerpräsident als Hüter der Nation darstellen könne. Der linksgerichtete Kolumnist erinnert daran, dass sowohl die von Soros gegründete Open Society Foundation als auch die Europäische Kommission die Existenz eines „Soros-Plans“ bestreiten würden. In Sebes’ Augen handelt es sich bei der nationalen Konsultation um nichts weiter als eine reine Propagandakampagne.
Auch Áron Kovács unterstellt der Regierung Propaganda und Panikmache. In Magyar Nemzet verweist der konservative Autor darauf, dass die Regierung die Äußerungen von George Soros aus ihrem Kontext gerissen und unverhohlene Fälschungen hinzugefügt habe, um bei den ungarischen Wählern Ängste zu schüren. Kovács räumt – allerdings mit tiefer Enttäuschung – ein, dass zahlreiche ungarische Wähler der Regierung beipflichten würden. Seiner Einschätzung nach „kaufen sie der Regierung ihre Propaganda ab“, weil „sie keinerlei Zugang zu einer unabhängigen Berichterstattung haben“.
Tamás Fricz äußert in Magyar Idők die Vermutung, dass reiche globale Eliten den demokratischen Nationalstaaten ihren Willen aufzwingen wollten. Der „Oberklasse“ wohlhabender „Dynastien“ würde mit wachsender Ungleichheit in der Welt immer mehr „informelle Macht“ in die Hände gegeben, behauptet Fricz, der George Soros für einen Teil dieser globalen Elite hält. Soros wolle seine Macht nutzen, „um die Nationalstaaten durch ein Überschwemmen Europas mit Migranten“ zu schwächen. Fricz erinnert daran, dass George Soros Grenzzäune tatsächlich kritisiert und seine Ideen im Europäischen Parlament habe darlegen können. Das ist dann auch für Fricz ein Beleg für die tatsächliche Existenz eines Soros-Plans in der Europäischen Union.
Imre Boros von Magyar Hírlap beschreibt George Soros als Sponsor der „fünften Kolonne“ eines „geheimen weltumspannenden Netzwerks“. Der regierungsfreundliche Wirtschaftswissenschaftler glaubt, dass Soros durch seine offene Unterstützung von NGOs die Existenz dieser geheimen internationalen Mächte offenbart habe. Mächte, die über Agenten in bedeutenden internationalen Organisationen wie dem IWF, der WHO, den Vereinten Nationen und der EU sowie auch in verschiedenen Regierungen verfügten. In der Schwächung der Nationalstaaten bestehe das Hauptziel der „geheimen fünften Kolonne“, so Boros abschließend.
In einem gemeinsamen Interview mit Heti Válasz sind sich Sámuel Ágoston Mráz und Gábor Török einig, dass die nationale Konsultation ein Bestandteil der von der Regierung betriebenen Mobilisierungsstrategie sei. Der führende regierungsfreundliche Analyst Mráz unterstreicht, dass die Kampagne gegen den „Soros-Plan“ der Regierung helfe, das Thema Migration am Kochen und ihre Anhänger bis zur Parlamentswahl 2018 mobil zu halten. Die nationale Konsultation sei ein erfolgreiches Instrument im Wahlkampf, bestätigt auch Gábor Török. Allerdings äußert er unter Verweis auf den Vorfall in Őcsény (vgl. BudaPost vom 2. Oktober) die Befürchtung, dass sie zu brutalem Hass aufwiegeln könnte. Unkontrollierte Migration sei ein echtes Thema, betont Török und stimmt zu, dass die Regierung zu Recht einen Zaun errichtet habe. Allerdings diene die gegen Einwanderer gerichtete Rhetorik lediglich Propagandazwecken.