Britischer Botschafter lobt die Visegrád-Staaten
4. Dec. 2017Eine liberale Kolumnistin macht dem britischen Botschafter in Budapest zum Vorwurf, dass er Ministerpräsident Orbán „schmeichelt“ und „dessen populistische Parolen wiederholt“. Ihrer Meinung nach braucht Großbritannien die vier Visegrád-Staaten mit Blick auf die eigenen verfahrenen Beziehungen zu Brüssel in der Frage des Brexit. Allerdings würde London weder Ungarn noch Polen schützen, sollten die EU-Staats- und Regierungschefs diesen Ländern ihre Stimmrechte entziehen wollen.
Im Interview mit Mandiner äußerte der Budapester Botschafter des Vereinigten Königreichs, Ian Lindsay, dass die mitteleuropäischen Nationen eine gemeinsame Aversion dagegen hätten, ihre Verhaltensweise von anderen diktiert zu bekommen. Ebenso wenig wünschten sie die Umwandlung Brüssels in Moskau. Darüber hinaus bezeichnete Lindsay Ministerpräsident Orbán als eine vertrauenswürdige Führungspersönlichkeit.
Györgyi Kocsis fragt sich, weshalb der britische Diplomat Orbán wohl für dessen Vertrauenswürdigkeit loben müsse. Eine mögliche Erklärung sieht sie in dem möglichen Wunsch Großbritanniens, einen illiberaleren Weg einschlagen zu wollen, etwa durch einen Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und daraus folgend den Rückzug vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine weitere Erklärung, so die Autorin in Heti Világgazdaság, seien die Bemühungen Londons, innerhalb der Europäischen Union Verbündete für den Abschluss eines sanften Brexit-Deals zu finden. Andererseits mögen Polen und Ungarn bei einem Verbleib Großbritanniens in der EU auf ein Veto hoffen, welches das Land im Europäischen Rat einlegen würde, sollten gegen Budapest und Warschau Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet werden. Klar, ein ungarisches Veto würde zum Abschmettern eines gegen Polen verhängten Stimmrechtsentzugs genügen – und umgekehrt. Allerdings pflichtet Kocsis „zahlreichen EU-Rechtsexperten“ bei, darunter die scharfe Kritikerin der Orbán-Regierung Kim Lane Scheppele von der Princeton University. (Sie geht davon aus, dass der erste Paragraph von Artikel 7 lediglich eine 4/5-Mehrheit verlange. Sollte demzufolge festgestellt werden, dass in einem bestimmten Staat die Grundwerte gefährdet seien, könnte diesem Land eine Abstimmung darüber verwehrt werden, ob Paragraph 2 tatsächlich zum Zuge kommen soll – der Paragraph also, der den Entzug von Stimmrechten regelt – Anm. d. Red.) Auf diese Art und Weise ließe sich Ungarns Veto zum Schutze Polens (und umgekehrt) umgehen, glaubt Kocsis. Man könnte Großbritannien also problemlos von einem Veto abhalten. Es genüge, London günstige Brexit-Bedingungen anzubieten. Damit könnte die Europäische Union sogar einen neuen Grundlagenvertrag ausarbeiten, ohne dass Polen und Ungarn ihn mit einem Veto verhindern könnten. Und sollten sie ihre Unterschriften verweigern, würden sie sich außerhalb der Europäischen Union wiederfinden. Abschließend empfiehlt Kocsis dieses mögliche Szenario all jenen Oppositionskräften, die die Anwendung von Artikel 7 gegen Ungarn derzeit noch ablehnen.
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