Linksliberaler Pessimismus im Hinblick auf die Wahlchancen
27. Dec. 2017Vier Monate vor den Parlamentswahlen haben führende linke und liberale Analysten ihren Parteien nur recht bescheidene Ziele gesetzt. Dabei sollte die Linke nach Ansicht von zwei Kommentatoren einfach den Versuch unternehmen, eine erneute Zweidrittelmehrheit des Fidesz zu verhindern. In diesem Sinne empfiehlt eine dritte Stimme den linken Parteien einen Wahlboykott.
In 168 Óra äußert sich der ehemalige EU-Kommissar László Andor. In seinem Artikel bedauert der Politiker den Umstand, dass die Opposition den Wahlen in einem Zustand völliger Fragmentierung entgegensehe. Den Wählern werde es sehr schwer fallen, sich mit einer so komplexen Alternative zur amtierenden Regierung zu identifizieren. Dass die Sozialistische Partei ihren ursprünglichen Spitzenkandidaten László Botka in die Wüste geschickt habe, sei dabei besonders bedauerlich. Botka mit seinen klaren Vorstellungen vom Wie eines Sieges über den Fidesz habe sich zu Recht gegen das Erscheinen des gescheiterten ehemalige Ministerpräsidenten (Ferenc Gyurcsány) auf der gemeinsamen Oppositionsliste ausgesprochen. Er habe eine in sich schlüssige sozialdemokratische Plattform vorgeschlagen, um unzufriedene – aber noch unentschlossene Wähler – von sich zu überzeugen. Allerdings hätten die potentiellen Partner gegen die amtierende Regierung und zugleich gegen die Sozialistische Partei gekämpft. Das, so die Analyse Andors, habe Botka daran gehindert, die Linke hinter der MSZP zu sammeln. Sein Scheitern sei ein harter Schlag für die Sozialistische Partei gewesen und habe eine neue Situation geschaffen, in der weit und breit niemand existiere, der die linken Kräfte führen könnte. Dessen ungeachtet schließt der Autor mit dem Hinweis darauf, dass eine Wahlniederlage nicht das wahre Scheitern bedeuten würde. Das wahre Scheitern wäre, wenn die linken Kräfte eine Vereinigung nicht einmal versuchen würden.
In derselben Wochenzeitung konstatiert die Soziologin Mária Vásárhelyi, dass die Opposition absolut keine Chance auf einen Sieg im kommenden Frühjahr habe. Die Chancen seien aufgrund des unebenen Spielfeldes nicht gleichmäßig verteilt. In Ungarn sei keines der Elemente einer freien und fairen Wahl gegeben, behauptet die Autorin und legt nahe, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht sämtliche notwendigen Informationen erhalten könnten, weil „ein staatliches Medienmonopol“ existiere. Sie beklagt auch, dass in den Nachbarländern lebende ungarische Staatsbürger zwar brieflich abstimmen dürften (allerdings nicht für die Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen), im Westen arbeitende Ungarn hingegen ihre Stimme persönlich abzugeben hätten. Der nationale Wahlausschuss setze sich in seiner Mehrheit aus von der Regierung ernannten Personen zusammen, obwohl die an den Wahlen beteiligten Parteien ihre eigenen Leute dorthin entsenden könnten. Aus der Geldstrafe, die Jobbik wegen illegaler Plakatfinanzierung auferlegt worden war (vgl. BudaPost vom 15. Dezember) schlussfolgert Vásárhelyi, dass die Regierungspartei zur Änderung der Spielregeln noch eine Woche vor den Wahlen bereit wäre, falls dies ihren Interessen dienen würde. Der Boykott einer Wahl sei noch schwieriger als der Wahlkampf, aber Vásárhelyi macht die linken Kräfte darauf aufmerksam, dass die Teilnahme am Urnengang Verrat an den Werten der Demokratie und der freien Wahlen bedeuten würde.
In einem längeren Essay für das Wochenmagazin Magyar Narancs warnt der Philosoph János Kis vor dem Gedanken an einen Wahlboykott. Zum einen schließt der Gründer des inzwischen aufgelösten liberalen SZDSZ Überraschungen im öffentlichen Leben vor den Wahlen nicht aus und zweitens vertritt er die Ansicht, dass viel auf dem Spiel stehe, auch wenn der Sieg des Fidesz als ausgemacht gelte. Im Folgenden beschreibt Kis das, was er als ein günstiges Szenario bezeichnet. Demnach werde die amtierende Regierung in ihrem Amt bestätigt – aber nicht mit einer Zweidrittelmehrheit. Sollte eine starke Opposition im Parlament vertreten sein, so der Liberale, würde die Beamtenschaft des Landes das Gefühl haben, dass die Herrschaft des Fidesz nicht für die Ewigkeit angelegt sei. Ob Jobbiks Schwenk Richtung politischer Mitte dauerhaft sei oder nicht, kann Kis nicht sagen. Allerdings sieht er derzeit keine Möglichkeit für ein formales Bündnis zwischen der ehemaligen rechtsradikalen Partei und der Linken. Dessen ungeachtet fände er es hilfreich, wenn sich diese Parteien nicht gegenseitig attackieren würden. Mit Blick auf die Linke würde Kiss es für vorrangig erachten, wenn sie sich auf gemeinsame Kandidaten einigen und ihren internen Zwist beenden würde. Welche Resultate die linken Parteien dadurch erzielen könnten, ist nach Ansicht des liberalen Philosophen derzeit völlig offen. Doch wäre es schon als ein Erfolg zu werten, wenn sie sich auch nur als starke Konkurrenten des Fidesz entpuppen könnten.
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