Rechte Interpretationen der EU-internen Spaltungen
8. Jan. 2018Ein der Regierung zuneigender Analyst kritisiert die Europäische Kommission sowie führende Vertreter der Union für ihre Versuche, Ungarn und seinen Partnern Mehrheitsmeinungen aufzuzwingen. Ein weiterer Vertreter des rechten Spektrums spricht von einem Krieg zwischen Anhängern des Multikulturalismus und des Nationalstaates.
Da Ungarn wie die vier Visegrád-Staaten insgesamt auf immer direkterem Konfrontationskurs zu Brüssel unterwegs sind, veröffentlicht Magyar Idők zwei Expertenanalysen zum Hintergrund der Auseinandersetzung.
Der Politologe Tamás Fricz notiert, dass die Gegner der ungarischen Regierung die demokratischen Spielregeln zugunsten ihrer eigenen Interessen beugen würden. Linksliberale Meinungsmacher im Westen unterstellten der ungarischen Regierung regelmäßig die Errichtung einer illiberalen und auf Autokratie ausgerichteten Demokratie. Sie machten geltend, dass das System der gegenseitigen Kontrolle in Ungarn gestört sei, die Exekutive nicht von starken Institutionen überwacht werde und somit eine Diktatur der Mehrheit herrsche. Diese Argumentationsweise sei deswegen problematisch, weil die Kritiker davon ausgingen, dass sie über das Richtig oder Falsch seitens der Mehrheit zu entscheiden hätten. Anders ausgedrückt würden sie glauben, dass die gewählten Regierungen ohne ein Einvernehmen mit den Wahlverlierern gar keine Entscheidungen treffen oder Gesetze verabschieden dürften.
Das Problem mit dieser Logik besteht laut Fricz darin, dass die Regierungen – falls sie sich daran halten würden – faktisch das Programm der Wahlverlierer umzusetzen hätten, was jedoch Urnengängen jeglichen praktischen Sinn rauben würde. Eigenartigerweise würden die Verfechter dieser Logik ihr selbst gar nicht folgen, zumindest wenn es um innerhalb der Europäischen Union zu treffende Entscheidungen gehe.
So würden sie sich in der Einwanderungsfrage für entgegen dem Willen der Minderheit getroffene Mehrheitsentscheidungen einsetzen. Anders gesagt forderten sie die Union auf, Ländern Migrantenquoten aufzuerlegen, die gerne selbst über die Gewährung des Asyl- oder Einwanderer-Status entscheiden würden. Dabei hätten die Mitgliedstaaten im Rahmen des Vertrags von Lissabon ihre Souveränität in Einwanderungsfragen keineswegs auf die Ebene der Europäischen Union übertragen. Es erwecke den Anschein, als ob die liberalen Eliten bei der Umsetzung dessen, was Fricz sarkastisch „Projekt Eurabia“ nennt, gar nicht so sehr auf gegenseitige Kontrolle oder die Rechte der Minderheiten bedacht seien.
Die aktuelle und offen geführte Kontroverse zwischen den Befürwortern einer massenhaften Einwanderung und denjenigen, die die Außengrenzen Europas eifersüchtig schützen wollten, sei ein Ausdruck dessen, dass sich Europa zwischen Multikulturalismus und der Nationalstaatsidee entscheiden müsse. Diese Ansicht vertritt László Földi, bis vor 20 Jahren Einsatzleiter beim ungarischen Geheimdienst, in der gleichen Tageszeitung.
Er hält es für ganz natürlich, dass, nachdem der Westen in Afghanistan und im Nahen Osten Kriege gegen islamistische Kräfte geführt habe, diese nun versuchen würden, hinter den Frontlinien – also in westlichen Städten – Vergeltung zu üben. Allerdings habe der in Europa stattfindende Kernkonflikt keineswegs einen religiösen Charakter. Vielmehr beruhe er auf Gegensätzen innerhalb unseres Kontinents zwischen Befürwortern des Multikulturalismus und denjenigen Menschen, die Nationalstaaten bewahren wollten.
Földi vermutet, dass die Erstgenannten in den Einwandermassen eine Art „Hilfstruppen“ bei ihrem Krieg gegen die Verteidiger des Nationalstaates sehen würden. Allerdings prognostiziert der Autor, dass sich diese Hilfstruppen irgendwann zum Mainstream entwickeln und sie ihre „Sponsoren“ von der Macht und vielleicht sogar aus Europa drängen würden. Man könne nämlich davon ausgehen, dass sie all jene jagen dürften, die nicht zum Islam konvertieren wollten.
Der ehemalige Geheimdienstler greift auch das Thema Minderheiten auf. Und wie Fricz, Verfasser des vorherigen Artikels, wirft auch Földi den europäischen Staats- und Regierungschefs Doppelzüngigkeit in dieser Frage vor. Als Beleg für seinen Vorwurf führt er den entschiedenen Widerstand des europäischen Mainstream gegen die Erlangung der Unabhängigkeit durch das katalanische Volk an.
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