Wochenzeitungen: Wahlausgang ungewiss
5. Mar. 2018Die Kommentatoren von ungarischen Wochenzeitungen und -magazinen halten es für nicht unwahrscheinlich, dass die Oppositionsparteien unter dem Einfluss der Bürgermeisterwahlen von Hódmezővásárhely Morgenluft wittern und letztlich in den meisten Wahlkreisen jeweils nur EINEN gemeinsamen Kandidaten an den Start gehen lassen. Damit würde die Opposition zur ernstzunehmenden Konkurrenz für den Fidesz.
In Élet és Irodalom plädiert Zoltán Ádám dafür, dass linke Kräfte ihre Abneigung gegen Jobbik in der Hoffnung beiseite schieben sollten, nicht nur die Kandidaten der amtierenden Regierung in möglichst vielen Wahlkreisen besiegen, sondern auch die ehemalige rechtsradikale Partei für sich gewinnen zu können, um das zu verteidigen, was der Kommentator als „elementare Werte der Demokratie“ bezeichnet. Jobbik in die demokratische Opposition gegen den Fidesz zu integrieren dürfte einen Links-Rechts-Konsens über ein „demokratisches Minimum“ herbeiführen, glaubt der liberale Ökonom und Soziologe. Ádám wertet die Niederlage des Regierungskandidaten bei der Bürgermeisterwahl von Hódmezővásárhely als Beweis dafür, dass der Fidesz nicht in der Lage sei, seine Wählerbasis weiter auszubauen, nachdem man sie von städtischen und gebildeten Schichten in Richtung einer überwiegend ländlichen, älteren Anhängerschaft mit geringen mittleren Schulabschlüssen verlagert habe. Mit einer solchen Basis sei das gegenwärtige Regime auf Dauer nicht zukunftsfähig, und die Wahl von Hódmezővásárhely könnte ein Zeichen dafür sein, dass das Ende näher als gedacht sei.
István Bundula ist davon überzeugt, dass sich gewöhnlich heftig bekämpfende Parteien letztendlich Wege finden dürften, um ihre Kandidaten zurückzuziehen bzw. den Wahlkampf für sie hintanzustellen, falls ein anderer über offensichtlich bessere Siegeschancen verfügen sollte. In Magyar Narancs begrüßt Bundula die Einsicht linker Parteien, wonach eine Zusammenarbeit mit Jobbik notwendig sei. Bislang wäre es den Wählern dieser Parteien sicher schwergefallen, für die jeweiligen Konkurrenzkandidaten zu stimmen. Doch mittlerweile seien sie über die Regierung derartig verärgert, dass sie die Stimmabgabe für irgendeinen Oppositionskandidaten mit Chancen auf einen Sieg über den jeweiligen Rivalen des Regierungslagers nicht verweigern würden. „Dies wird allerdings der einfachere Teil der ganzen Übung sein“, räumt Bundula in seinem Resümee ein. Mit anderen Worten: Es werde all diesen unterschiedlichen Kräfte extrem schwer fallen, im Falle ihres Wahlsieges gemeinsam zu regieren.
Auch Ervin Tamás vertritt die Ansicht, dass sich die Winde zugunsten der Opposition drehen würden – wenn auch nur langsam. In 168 Óra sagt der Kommentator voraus, dass die Regierungsseite den Rest des Wahlkampfes mit der Frage der Einwanderung bestreiten werde. Auf diesem Feld verfüge sie über einen beträchtlichen Vorteil. Mit Beginn der Masseneinwanderung vor drei Jahren habe sie rasch die Bedeutung des Problems erkannt, während auf der Oppositionsseite diese Gefahren heruntergespielt worden seien. Gegenwärtig jedoch wolle niemand den von der Regierung errichteten Grenzzaun niederreißen und niemand plane das Anwerben von Siedlern, konstatiert Tamás. Dennoch könne diese Propaganda noch immer ihre Wirkung entfalten. Allerdings habe sie die Niederlage des regierungsnahen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in Hódmezővásárhely nicht verhindern können, erinnert Tamás.
Gábor Gavra interpretiert in seinem Leitartikel für Hetek das Ergebnis von Hódmezővásárhely als die Niederlage des regierungsfreundlichen Kandidaten durch einen politisch rechts von ihm positionierten Gegner. Die Regierung habe Unterstützung bei den Rechten eingebüßt, lautet eine von Gavra daraus zu ziehende Lehre. Eine andere Schlussfolgerung schreibt der Kommentator der Linken ins Stammbuch: Sie sollte sich von der Illusion verabschieden, gerade ihre Anstrengungen seien von der Bevölkerung in Hódmezővásárhely belohnt worden.
In Heti Válasz zeigt sich Gábor Borókai von der Tatsache überrascht, dass der Fidesz zwar weitaus besser als seine Gegner imstande sei, das Land zu regieren, dessen ungeachtet jedoch eine Wahl in einer wichtigen und seit eh und je als Hochburg der Regierungspartei fungierenden Stadt verloren habe. Einerseits habe die Regierung die öffentliche Verschuldung niedrig gehalten und der Lebensstandard sei gestiegen, andererseits habe sie jedoch nichts dafür ausgegeben, dass sie auch „gemocht“ werde. Es sehe so aus, als herrsche allenthalben eine große Feindseligkeit, und die einzige Frage laute, ob diese Unzufriedenheit zu einer einzigen Kraft verschmelzen werde. Falls ja, könnte die Regierung von neuen Kräften übernommen werden. Sie mögen sich als weniger professionell erweisen, aber wie Hódmezővásárhely bewiesen habe, sei dies nicht die Zeit für rationale Entscheidungen, glaubt Borókai.
Zwar sei der Fidesz noch immer die mit Abstand stärkste Partei, doch habe sie Unterstützung von entschiedenen Wählern verloren und niemand die Ursachen dafür erklärt, notiert András Bencsik im Wochenmagazin Demokrata. Der der Regierung nahestehende Publizist fragt auch, ob die Rechte auf eine mögliche Situation vorbereitet sei, bei der die Oppositionsparteien in allen Wahlkreisen mit nur einem einzigen Kandidaten antreten würden. Bencsik hält dies für eine ernstzunehmende Möglichkeit, weil Oppositionsanhänger Bemühungen um Geschlossenheit gewöhnlich belohnen würden. „Deswegen werden wir in Gefahr sein“, schreibt Bencsik und fragt: „Welche Sünde hat die Rechte begangen, die dafür sorgt, dass ihr ihre anhaltende Popularität offenbar abhanden kommt?“ Der Autor fordert eine rasche Antwort auf diese Frage und ruft unterdessen das Regierungslager auf, es möge die Fahne der Liebe und der Einheit hissen. (Unter diesen beiden Schlagwörtern werden er und seine Freunde am 15. März einen weiteren „Friedensmarsch“ zur Unterstützung der Regierung durchführen – Anm. d. Red.)
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